Die
Forscherpersönlichkeit Gauß
• Wissenschaft (Mathematik) und Gesellschaft des 19. Jahrhunderts •
Carl
Friedrich Gauß, geboren am 30. April 1777 in Braunschweig, war ein deutscher Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker und galt bereits zu Lebzeiten als „Fürst der
Mathematiker“. Mit der
„Disquisitiones Arithmeticae“ (zu deutsch „Höhere Arithmetik“), seiner ersten Publikation mathematischer Entdeckungen, hatte
Gauß bereits zu frühen Lebzeiten ein Werk hochkomplexer Mathematik geschaffen, das revolutionäre Entdeckungen in sich
barg. Hierzu sind auch die vielen folgenden Entdeckungen außerhalb seines
Lebenswerkes gezählt, die von ihm zum Teil auch nicht veröffentlicht wurden,
wie zum Beispiel die allzu bekannte „Gaußsche Glockenkurve“ oder die Theorien und Berechnungen zur „Nicht-Euklidischen Geometrie“ – einem völlig neuen Geometrie-System, was zu der damaligen Zeit definitiv einen wagenden Charakter inne hatte.
Gauß selbst war eher schüchtern beim
Veröffentlichen seiner Entdeckungen, was womöglich an seiner akribischen Arbeitsweise lag: Er veröffentlichte seine Ideen nur dann, wenn er sich über deren Wahrheitsgehalt absolut sicher war.
Zudem existieren Schriften von Gauß, in denen er äußerte, dass er fürchte, für seine damals eventuell kontroversen Ideen verpönt oder nicht verstanden zu werden,
also dass es noch zu früh sei der Menschheit seine Ideen zu präsentieren. Damit sei der Bezug zur Streitfrage hergestellt, was denn ein Mathematiker in der damaligen Gesellschaft nütze. Denn
seine Berechnungen (zumindest die der Disquisitiones Arithemticae) waren für die damalige Welt der Mathematiker tatsächlich noch sehr schwer zu begreifen und haben somit kaum Anklang finden können, geschweige
denn bei der breiten Masse des Volkes. Im Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann wird sogar kurz anekdotisch erwähnt, dass Gauß nach einigen Jahren selbst Probleme beim Verstehen seines
Werks hatte. Der Mangel an Bildung (bei nichtadeligen
Bevölkerungsschichten) sei definitiv dem, damals noch schlechtem, Bildungssystem geschuldet, da die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht in ganz Deutschland
noch in ihren Anfängen war.
Ein Großteil seiner
Berechnungen und Erkenntnisse findet erst heute wirklich Anwendung, in einem Zeitalter von Internet und Elektrotechnik, von Computern und Handys, von Raumfahrt, Flugzeug- und Automobilbauindustrie, u.v.m.
Dassind alles Dinge, die es zu dieser Zeit, dem Beginn der
Industrialisierung, noch nicht gegeben hat. Gauß selbst könnte man also als einen der ersten Mathematiker bezeichnen, der rein im Gebiet der Mathematik-Theorie forschte,
ohne unbedingt einen konkreten Anwendungsbezug zu suchen. Da er eben genau deswegen keinen Anklang in der Gesellschaft
fand, musste sich Gauß im Gebiet der Astronomie etablieren, um an Ansehen zu gewinnen. Mit einem von ihm neu entwickelten Verfahren konnte
er die Laufbahn des entdeckten und wieder verlorenen Planeten „Ceres“ berechnen und so zu dessen Wiederentdeckung beitragen. Erst seine astronomischen Erfolge ließen Gauß populär werden, sodass
er sich in wissenschaftlichen Kreisen etablieren und an Ansehen gewinnen konnte. Mathematik fand in der damaligen Gesellschaft also kaum einen Anklang, sondern eher das
Sichtbare der Astronomie.
Gauß, der
sich eigentlich am liebsten der Forschung der Mathematik widmen wollte,
war also gezwungen auch Arbeiten zu verrichten, die einen allgemeinen Nutzen für dieGesellschaft und den Staat hatten.
Beispiele hierfür sind, neben seiner
Stelle als Leiter der Sternwarte in Göttingen, auch die Vermessungsarbeit
Hannovers – einer Arbeit, die getan werden musste, um finanziell fortzubestehen. Die Notwendigkeit solcher Arbeiten zeigt also, dass die Forschung der Mathematik damals kaum von Nutzen war, zumal sie das Überleben eines Forschers nicht sichern
konnte.
Viel höheres Ansehen genossen Forschungen im Bereich des Naturverständnisses oder der Literatur, was der hohe Widerhall Humboldts oder
Goethes zur damaligen Zeit belegt.Zudem hatten schlechte hygienische Verhältnisse, ein Mangel an Kenntnissen im Bereich der
Medizin und eine noch kaum ausgebaute Infrastruktur in weiten Teilen Deutschlands (wie auch beispielsweise das Kulturzentrum Weimar), eine höhere Priorität an Erforschung, als
Mathematik.
Als
weiteren Punkt lässt sich aufführen, dass die damalige Stimmung von der politischen
Spannung des Vormärz geprägt war. Der Kampf um die Freiheit auf Seiten der Studentenbewegungen und im Gegensatz dazu das
Restaurationsbestreben der Konservativen stellte zur Zeit des 19. Jahrhunderts die relevantere Problematik dar. Neue mathematische Errungenschaften waren da keine Hilfe zur Konfliktlösung, wenn nicht gar fehl am Platz.
Gauß als Mathematiker war also, trotz seiner Genialität, in der damaligen Gesellschaft eher nicht von großem Nutzen. Erst im heutigen Zeitalter gewannen seine
Entdeckungen eine wirkliche Relevanz, da sich auch die Rolle und Wichtigkeit eines forschenden Mathematikers gewandelt hat. Um abschließend den fiktiven Carl Friedrich Gauß zu zitieren, sei auch
gesagt, dass Daniel Kehlmann in seinem Erfolgsroman eine ähnliche Auffassung vermitteln will: „Seltsam sei es und ungerecht, sagte Gauß, so recht ein Beispiel für die erbärmliche Zufälligkeit und
Existenz, daß man in einer bestimmten Zeit geboren und ihr verhaftet sei, ob man wolle oder nicht. Es verschaffe einem einen unziemlichen Vorteil vor der Vergangenheit und mache einen zum Clown
der Zukunft.“ (S.9).